Wanderfahrt auf der mittleren und unteren Warthe

von Poznan nach Kostrzyn nad Odra vom 8.-15.5.2022

Am 8. Mai fuhren 5 Ruderinnen und Ruderer mit dem Zug von Hameln nach Poznan, um an einer Wanderfahrt auf der Warthe, wieder mit Lukasz Kazmarek, teilzunehmen. Treffpunkt war das Hotel Altus mitten in der Innenstadt von Poznan. Als wir dort gegen 16.00 Uhr eintrafen, sahen wir einige bekannte Ruderinnen und Ruderer wieder, die wir schon von früheren Wanderfahrten kannten, die Freude war groß. Wie immer waren wir eine bunt zusammengewürfelte Gruppe, ein Niederländer aus Den Haag, drei WienerInnen, und ansonsten RudererInnen aus dem gesamten Bundesgebiet. Wie immer standen auch Kultur und Geschichte Polens auf dem Programm, was mit einer abendlichen Stadtführung begann. Poznan (Posen) ist eine sehr lebendige, dynamische Stadt, 120 000 Studenten leben und studieren hier. Sie ist Polens fünftgrößte Stadt, ein internationaler Messestandort.  Außerdem wurde deutlich, wie wechselhaft die Geschichte der Stadt von Polen und Preußen (Kaiserviertel) bestimmt wurde. Kurz nach Ausbruch des 2.Weltkriegs besetzte die deutsche Wehrmacht Poznan, unterdrückte, vertrieb oder ermordete die polnische Bevölkerung. Gegen Kriegsende wurde die Stadt zur Festung erklärt, die Kämpfe erforderten an die 12000 Tote, die Bausubstanz wurde zu bis zu 75% zerstört. Dieser Verlust wurde in der durch Sanierung und Rekronstruktion sehr gut ausgeglichen. Straßen und Plätze werden zur Zeit mit EU-Förderung aufwendig modern gestaltet.

Am Montagvormittag gingen wir dann zu Fuß ans Wartheufer, dabei kamen wir an einer langen Warteschlange ukrainischer Flüchtlinge vorbei, die an einer Lebensmittelausgabestelle anstanden. Das Wartheufer in der Stadt wird vom Beton befreit und renaturiert, die Promenade wird aufwendig neu gestaltet. Am Ruderverein Polonia von 1921 konnten wir uns selbst ein Bild machen, warum Lukasz diese Form der Renaturierung kritisiert. Man hat Gabionen verbaut, Drahtgitter mit großen Steinen, das Ufer ist recht steil, die Boote müssen vorsichtig darüber getragen werden und das Ufer lässt sich schlecht begehen.  Hier wurde wieder deutlich, welche komfortable Anlegesituation wir in Hameln haben. Letztendlich hat aber alles gut geklappt, und nach der Bootseinteilung ruderten wir an der Dominsel vorbei 24 km zu einem der für Polen üblichen Biwakplätze. Das Anlegen war wie so oft mit Lukasz ein Abenteuer, bis alle 6 Boote für die Nacht gesichert waren, denn sie blieben meistens auf dem Wasser, so dauerte es seine Zeit. Klettern und waten durch Matsch und Sand gehörten dazu, Anlegeplätze mit Steg gab es nur in den Städten an den Rudervereinen. Nach einem ungeduscht Bier holte uns  ein Bus ab und brachte uns zu unserem Hotel zurück. Ein sonniger Rudertag ging zu Ende.

Die Warthe ist ein sehr naturbelassener Fluss mit Wiesen, Auenwäldern, Schilf und einer reichen Vogelwelt. Außer Anglern am Ufer trifft man ansonsten niemandem. Im Laufe der Woche sahen wir Seeadler, Störche, Kraniche, begleitet wurde der ganze Tag vom Vogelkonzert, vor allem Rohrsänger. Dieser erste Teil, wie auch der Rest bis in die Oder, gehören zum sogenannten großpolnischen Wasserring, der insgesamt knapp 700 km lang ist.

Auf der Rückfahrt nach Poznan kamen wir östlich der Altstadt am künstlich angelegten Maltasee vorbei, der international bekannten Regattastrecke, auf der auch Lukasz als polnischer Meister trainiert  hat.

Am Dienstag  ruderten wir weiter nach Obrzycko, unsere Übernachtung fand im Palast von Obrzycko statt, der als Gästehaus von der Universität Posen geleitet wird. Auch die deutsch-polnische Kulturstiftung hat hier gefördert. Die Lage direkt an der Warthe und der Park gefielen uns sehr, außerdem hatten wir hier das Glück, eine Nachtigall zu hören und zu sehen. Bärlauch bildete einen Blütenteppich und  die Maiglöckchen zeigten sich. Wie bei den Wanderreisen von Lukasz üblich, lernten wir auch die typisch polnische Küche kennen. Als Getränk gibt es Kompott- Obst, das mit Wasser aufgekocht wird und dann getrunken werden kann. Als warmes Essen zwei Gänge: eine Suppe als Vorspeise, dann meist Fleisch mit Beilage und Gemüse. Zu den bekanntesten Suppen zählen eine klare Rote-Beete-Suppe, eine Sauermehlsuppe, die mit Roggenmehl, Kartoffeln, Wurst, Pilzen sowie Ei zubereitet wird und auch in einem ausgehöhlten Brotlaib serviert werden kann, eine Salzgurkensuppe sowie eine traditionelle Graupensuppe mit Gemüse, Rippchen und Kartoffeln als Beilage.

Kartoffeln gehören in unterschiedlicher Zubereitung zum Hauptgericht. Schmackhaft sind die kluski slaskie, kleine traditionelle Kartoffelklöße aus Oberschlesien, oder die pyzy, größere Kartoffelklöße mit einer Fleischfüllung. Als Gemüse gibt es oft Rohkost aus Möhren, Rote Beete, Gurken, selbst gesammelte Pilze, Meerrettichdips oder Dill.

Die Warthe selbst ist ein tolles Wanderruderrevier und hat mir persönlich besser gefallen als die Oder. In der Mittagspause am 3. Tag auf einer Wiese am Wartheufer: Schläfchen, essen und Unterhaltung mit den anderen. Plötzlich donnerte unvermittelt ein Tiger Kampfhubschrauber über uns hinweg und brachte uns in die Realität zurück. 

Am 4. und 5. Tag übernachteten wir im sehr gepflegten Palast im englischen Landhausstil in Wiejce Dorf. Da wir in zwei Vierern den heiligen Geist an Bord hatten, sorgte Lukasz dafür, dass bei den längeren Etappen externe Personen zum Steuern mitkamen, so waren das am Donnerstag seine Mutter und das  junge Pächterpaar des Palastes. Am Samstag war es ein Freund von Lukasz aus Gorzow, der sonst Kanufahrer ist. Mittwoch Abend wurden wir von Lukasz Eltern mit einem reichhaltigen polnischen Buffet am Wartheufer überrascht, das von der Mutter persönlich für uns vorbereitet wurde. Da gab es auch das polnische Nationalgericht Bigos. Der Schmortopf aus Sauerkraut, verschiedenen Fleischsorten, Pilzen und vielen Gewürzen wird stunden- oder sogar tagelang gekocht. Als Nachtisch gab es einen sehr leckeren Käsekuchen mit Schokoladensoße. Zur Verdauung gab es den vom Vater nach einem Geheimrezept hergestellten Zitronowka.

Am Donnerstag wurden wir bei der Mittagspause im Garten des Palastes, der am Wartheufer einen Anleger hat, mittags mit warmen Schinken im Brotteig, verschiedenen Salaten  und Getränken wieder von den Eltern verwöhnt.

Bisher hatten wir ruhiges Wasser und die Warthe zeigte sich mit ihrer Strömung ähnlich der der Weser von ihrer friedlichen Seite. Dies sollte sich aber ab Donnerstag Mittag ändern. Der Westwind Helmut frischte auf und sorgte für heftigen Gegenwind mit hohen Wellen und Schaumkronen. Wir waren alle froh, als wir am späten Nachmittag Gorzow (Landsberg an der Warthe) erreichten. Dort hatten wir auch beim  dortigen Ruderleistungszentrum recht komfortable Anleger zum Aussteigen. Wir erhielten eine Führung durch das Bootshaus und konnten uns anhand von Plakaten einen Einblick in die erfolgreichen Jahre bei internationalen Regatten des polnischen Rudersportes verschaffen. Wanderrudern ist in Polen nach wie vor kaum bekannt. Bei einer Stadtführung begegneten wir der Skulptur von Christa Wolf, die in dieser Stadt geboren und aufgewachsen ist. Ansonsten war diese vor allem vom sozialistischen Baustil geprägt, nur vereinzelt konnte man sich vorstellen, wie schön diese Stadt mal gewesen ist. Abends gingen wir in eine Milchbar zum Essen, eine Art Volkskantine, in der es günstige, einfache und sehr schmackhafte Hausmannskost gibt.

Der letzte Rudertag am Samstag forderte uns noch mal richtig. Zwei Ruderer schieden mit gesundheitlichen Problemen aus, sodass wir nun mit 5 Vierern, die vollbesetzt waren, aufs Wasser gingen. Der Wind Helmut war immer noch heftig, die Strecke von 52 km war deswegen recht anstrengend, sodass wir erst recht spät in Küstrin, am Endpunkt unserer Rudertour, 2 km vor der Mündung in die Oder, ankamen. Vorher ruderten wir am Nationalpark Warthemündung vorbei, es ist der jüngste Nationalpark des Landes. In der Flussauenlandschaft mit Feuchtwiesen, Weiden und Überschwemmungsgebieten der Oder und Warthe machen im Herbst bis zu 200000 Wildgänse Rast. Es gibt dort 270 Vogelarten.

Für das Abriggern und das Reinigen der Boote vertrieben wir einen Angler. Im Gespräch stellte sich heraus, dass er ein ukrainischer Handwerker ist,  der schon länger in Polen lebt. Er bot uns spontan an, unsere Koffer, die aus dem Hänger für das Bootsmaterial herausgenommen werden mussten, für uns mit seinem Arbeitsbulli ins Hotel zu transportieren. Welch eine nette Geste!

Küstrin selbst ist ein Grenzort und eine ehemalige Festungs- und Garnisonsstadt. Am Ende des Zweiten Weltkrieges wurde sie zu 95 % zerstört und auf der anderen Wartheseite wieder aufgebaut.  

Eine wunderschöne, aber auch anstrengende Rudertour ging hier zu Ende.

Heike Tiedemann

Bildquellen:

  • 202205_PL_Warthe (3): RVW bzw. ein Mitglied