Die ständig wechselnde Weichsel

Die Vorfreude war groß bei uns. Knapp acht Monate nach der Oder waren wieder 9 Hamelner Ruderer auf dem Weg zu einer Wanderfahrt nach Polen. Leider fehlte der Organisator unserer Zugfahrt nach Thorn (Torun) coronabedingt und wurde durch den Heiligen Geist ersetzt – doch dazu später mehr. Auch der Krieg in der Ukraine geht gerade an Polen nicht spurlos vorbei und begleitete uns natürlich auch.

Thorn an der Weichsel – die erste Gründung des Deutschen Ordens in Polen und Geburtsstadt von Nikolaus Kopernikus übertraf all unsere Erwartungen. Eine fast komplett erhaltene mitteralterliche Stadt. Trotzdem ist die Stadt jung, denn es gibt 40.000 Studenten. Wir erkundeten die Stadt zunächst auf eigene Faust und man machten Bekanntschaft mit der heimischen Küche. Gebackene Piroggen – sehr lecker. Thorn ist außerdem- neben Nürnberg – die Heimat des Lebkuchens.

Am nächsten Tag wurde es offiziell. Lukasz Kacmarek, unser junger, altbewährter Reiseleiter und sein Vater Grzegorz erwarteten uns zum Aufriggern am Wassersportzentrum Thorn. Die Begrüßung war herzlich und wir lernten die RuderInnen aus Deutschland, Frankreich und England kennen, mit denen wir die kommende Woche verbringen wollten. Eine Stadtführung und ein gemeinsames Abendessen rundeten den Tag ab. Dabei lernten wir noch, dass die Bezeichnung ‚alter Lebkuchen‘ für unfreundliche alte Leute steht. Das waren wir natürlich nicht.

Am kommenden Morgen ging es los. Radio Lukasz bereitete uns auf die Weichsel und die erste Etappe vor. Die Weichsel ist Polens längster Fluss und – auch durch die wechselvolle Geschichte – seit dem Mittelalter unreguliert und naturbelassen. Das bedeutet: Finde und umfahre die ‚Schweinchen´. Überall sind Sandbänke – genannt Schweinchen – und man muss schon sehr aufpassen, um sie rechtzeitig zu erkennen und zu umfahren. Zum Glück halfen einige spezielle Schifffahrtszeichen, die aber zunächst gewöhnungsbedürftig waren. Und so wechselt die Fahrrinne der Weichsel von Backbord nach Steuerbord und zurück. Ständig – eine Woche lang. 5 Vierer machten sich auf den Weg zum ersten Etappenziel kurz hinter Bromberg (Bydgoszcz). Durch den Krankheitsausfall wurde immer ein Vierer nur mit vier RuderInnen besetzt und durch den ‚Swietego Ducha‘ – den heiligen Geist komplettiert. Er erleuchtete uns die gesamte Tour – gerudert hat er aber leider nicht.

Gleich auf der ersten Etappe machten wir wieder Bekanntschaft mit der ‚Pause an Sandbank‘ und dem ‚Ungeduscht-Bier‘ nach dem Rudern. Die Übernachtung im Palais von Ostromecko mit einem wunderschönen Park war ein weiteres Highlight der Tour. Am nächsten Tag führte uns der Palastmanager Andrzej GawroÅ„ski noch durch die Räumlichkeiten und auch zum alten Palais, in dem die historische Klaviersammlung von Andrzej Szwalbe untergebracht ist. Als er auf einem 200 Jahre alten Flügel aus St. Petersburg ‚Imagine‘ von John Lennon spielte, mussten viele von uns schlucken. Geschichte ist immer wieder aktuell und oft auch schmerzhaft.

Weiter ging es zum nächsten Etappenziel nach Kulm (Chelmo). Die Stadtführung durch die alte Ordensgründung endete beinahe tragisch. Denn nach dem – nicht so ganz offiziellen – Besuch des Klostergartens der Barmherzigen Schwestern war die große Eingangspforte mit einem schweren Rolltor verschlossen. Niemand war zu sehen und hörte unsere Rufe. Bange Minuten für unsere Ruderinnen, denn keine (auch nicht Steffi) wollte im Kloster blieben. Dann öffnete sich die Pforte – vielleicht war es der Heilige Geist.

Weiter ging es nach Graudenz (Grudziadz) zum Ruderverein Wisla. Auch hier ist der Verein in ein Wassersportzentrum integriert, in dem es auch ein Marina-Hotel gibt. Die Stadtführung durch die mittelalterliche Stadt war kurzweilig und endete für einige in einer netten Bar in der Altstadt.

Der Weg nach Gniew war landschaftlich besonders schön. Mehrere Seeadler beobachteten unsere mittlerweile geschickte Umfahrung der ‚Schweinchen‘. Eine Besichtigung der toll restaurierten Ordensburg und der berühmte polnische Abend (diesmal sogar mit Lagerfeuer) machten diesen Tag perfekt. Wir wussten ja inzwischen, dass man Grzegorz Wodka-Spezialmischung nicht zu intensiv genießen sollte.

Die nächste Etappe nach Tczew schien eigentlich unspektakulär. Aber die Weichsel zeigte diesmal ein anderes Gesicht. Gegenwind aus Norden (genannt Gustav), Wellen mit Schaumkronen und heftige Regenschauer erschwerten die Fahrt. Zwischenzeitlich mussten einige Bootsbesatzungen durchgetauscht werden. Meuterei lag in der Luft. Als nach dieser Etappe noch ein 90 minütiger Spaziergang zum Hotel anstand, waren bei vielen die Akkus leer. Auch Radio Lukasz gab nur ein Kurzprogramm. Vor allem die bevorstehende letzte Etappe machte uns Sorgen. 55 Kilometer bis nach Danzig – und die Wetterprognosen waren schlecht. So schliefen wir alle etwas unruhig.

Doch am Morgen begrüßte uns schönes Wetter und die ersten 30 Kilometer half auch der Heilige Geist – Schiebewind. Dann verabschiedeten wir uns – fünf Kilometer vor der Ostsee – von der Weichsel. Durch die einzige Schleuse der Fahrt ging es in den Kanal nach Danzig. In der Schleuse wurden wir gefragt, wieviel Russen wir an Bord hätten. Uns wurde einmal mehr klar, das die Oblast Kaliningrad nur knapp 100 Kilometer entfernt ist und die Geschichte den Polen nicht immer freundlich mitgespielt hat.

Die Strecke nach Danzig war anspruchsvoll. Gegenwind Helmut aus Westen verlangte uns noch mal alles ab. Trotz einiger Maulereien schafften wir aber alle die Krönung der Fahrt. Mitten durch Danzig, mit Manövern an Hochseefähren, Rettungskreuzern und nachgebauten Piratenschiffen vorbei, direkt unter das Krantor. Hier hielten alle Boote an und präsentierten den zahlreichen Touristen den Queen-Hit ‚We will rock you‘ mit rhythmischem Klatschen an die Bordwände.

Nach zwei weiteren Kilometer endete die Fahrt in einem kleinen Hafenbecken. Abriggern, Bootesäuberung und Verladen nach der Methode Lukasz. Danach ein Gruppenfoto und ein letztes Ungeduscht Bier. Der Abschiedsabend begann sehr spät und einige schliefen beim Essen ein.

Unser letzter gemeinsamer Tag startete mit einem ordentlichen Frühstück und einer launigen Stadtführung durch das alte Danzig. Erstaunlich, was aus einer Stadt gemacht wurde, die zu 95% zerstört war.

Dann hieß es Abschied nehmen. Vielen Dank an Lukasz und Grzegorz für eine beeindruckende Woche durch eine Region mit spannender, wechselvoller und auch aktueller Geschichte. Wir kommen wieder. PUNKT !!!